Die Berufswahl stellt alle Heranwachsenden vor große Fragen. Wer bin ich? Wo möchte ich in fünf oder auch in zehn Jahren stehen? Kommt ein Pflegeberuf für mich in Frage? So ging es auch mir vor knapp drei Jahren.
Mein Leben hat mich erst auf einigen Umwegen zur Mittleren Reife geführt, sodass ich während meiner Zeit an der Berufsfachschule bereits einen eigenen Haushalt geführt und für meinen Lebensunterhalt gearbeitet habe. Entsprechend hoch war auch der Druck, den ich auf mir spürte, und ich wollte endlich raus aus dem Leben als Sonderling („Wie, du gehst mit 20 noch zur Schule?“) und mich frei entfalten können. Dementsprechend fragte ich mich, wie das am besten möglich sei.
„Ob mich diese Aussage abschrecken oder motivieren sollte, weiß ich bis heute nicht.“
Meine Schwester, die einige Jahre vor mir vor der gleichen Entscheidung stand, hatte sich damals für eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin entschieden – genau wie unser Vater. Sie arbeitet bis heute in einem ambulanten Pflegedienst. Mein Vater jedoch arbeitete nach seiner Ausbildung nur einige wenige Jahre im Pflegeberuf, weil ihm die Arbeitsbedingungen zu sehr zugesetzt hatten. Damit erging es ihm wie einem Großteil der examinierten Pflegekräfte: Im Schnitt arbeiten sie weniger als zehn Jahre in ihrem Beruf.
Diese Zahl kursierte auch in meiner Berufsschule. Wir hatten uns dort Statistiken zum demografischen Wandel unter Pflegenden angesehen und sahen uns damit konfrontiert, dass es überall Personalmangel gab und dieser in Zukunft nur noch drastischer ansteigen würde. Unsere Lehrerin sagte, dass wir heute im Gesundheitssystem so gute Aufstiegschancen hätten wie nie; wir könnten uns Beruf und Arbeitsort nahezu aussuchen, so dringend werde überall gesucht. Ob mich diese Aussage abschrecken oder motivieren sollte, weiß ich bis heute nicht.
Durch meine Arbeit bei den Jusos, regelmäßige Gespräche mit meiner Familie, den Unterricht in der Schule sowie dem regelmäßigen Verfolgen der Nachrichten war ich also grundsätzlich sehr gut über die Situation in der Pflege informiert.
Ich könnte jetzt schreiben, dass ich mich daher schweren Herzens gegen eine Ausbildung in der Pflege und für eine gut bezahlte Ausbildung mit erfolgsversprechender Perspektive entschieden habe und heute glücklich mit meiner Entscheidung bin.
Das wäre aber nur ein Teil der Wahrheit, denn obwohl ich mich für reichlich andere Berufe beworben habe, ging mir mein Praktikum in der ambulanten Kinderkrankenpflege einfach nicht mehr aus dem Kopf.
„Können Momente des Glücks ausgleichen, was die restliche Zeit geschieht?“
Da war beispielsweise die schwerstmehrfachbehinderte Patientin, deren Gesicht ein Ausdruck purer Lebensfreude war, wenn wir mit ihr bei intensivem Wetter (manch eine*r würde es Unwetter nennen) spazieren gingen. Sie war vorher untröstlich zu Hause, so gefangen schien sie in ihrem Kopf und ohne Möglichkeiten, sich selbst von ihren Gedanken abzulenken.
Oder auch der ebenfalls schwerstmehrfachbehinderte Patient, dessen Eltern lange Zeit aus Mangel an Informationen keinen Pflegedienst für ihn hatten und der ebenfalls vor Freude strahlte, sobald wir in den Raum kamen und ihn begrüßten. Auch er, der älteste Bruder von fünf Geschwistern, war gefangen in seinem Kopf und wusste, dass unser Erscheinen Abwechslung bedeutete.
Aber reicht das? Können solche Momente des Glücks ausgleichen, was die restliche Zeit geschieht? Den Frust wegen dem Schichtdienst, der Personalnot und der viel zu kurzen Zeit für jede*n Patient*in? Mein Praktikum fand in der Blase der ambulanten Kinderkrankenpflege statt, einem Bereich, in dem nicht in Schichten gearbeitet und nur ein*e Patient*in pro Schicht betreut wird. Die Frage, ob diese Momente in einem Krankenhaus überhaupt noch vorhanden sind, hat mich lange zweifeln lassen.
Trotz allem bin ich nicht den Weg der Vernunft gegangen und habe mich für die Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenschwester entschieden.
„Und gegen den Frust schreibe ich als Juso Anträge.“
Und ich bin zufrieden mit meiner Entscheidung. Wenn ich morgens um fünf noch halb schlafend in der Bahn sitze, denke ich an das knapp sechsjährige Mädchen, das mich nach einer Blutentnahme ansah und sagte: „Dich mag ich, du sagst mir die Wahrheit“.
Ich liebe meinen Job. Denn das Wissen zu haben, Kindern erklären zu können, was mit ihnen geschieht und sie entsprechend versorgen zu können, erfüllt mich mit einer Zufriedenheit, die mir kein anderer Beruf geben kann.
Das sind Gründe, warum ich trotzdem in der Pflege arbeite.
Und gegen den Frust schreibe ich als Juso Anträge.