ein Gastbeitrag von Julian Bachert, Notfallsanitäter aus Timmendorfer Strand
Seit sechs Wochen hat das Virus SARS-CoV-2 unser Land fest im Griff. Das öffentliche Leben ist vielerorts zum Erliegen gekommen und auch bei mir in Ostholstein sind die Schulen, Geschäfte und Cafés geschlossen. Die Fallzahlen nehmen von Tag zu Tag dramatischere Ausmaße an. Derzeit sind über 57.000 Menschen (Stand: 30.3.2020) im gesamten Bundesgebiet infiziert.
Wie Sparmaßnahmen jetzt zum Problem werden
Schon jahrelang kritisieren die Angestellten des Gesundheitssystems, dass wir durch Sparmaßnahmen und der immer fortschreitenden Privatisierung des Gesundheitssektors bald an die Grenzen stoßen würden. Und da dachte noch niemand an COVID-19. Versprechungen wurden viele gemacht und Reformen auf den Weg gebracht. Aber wirklich spürbar verbessert hat sich dadurch nichts, oder zumindest nicht viel.
Und sein wir doch mal ehrlich: Solange der Gesetzgeber nichts dagegen unternimmt, dass private, finanzielle Interessen den Kurs in der Gesundheitsbranche diktieren, wird die Gesundheit der Menschen immer mehr zur Ware. Und wir, die Angestellten, sollen diese Ware möglichst gewinnbringend oder zumindest kostendeckend versorgen.
Den Rettungsdienst stellt die „Corona-Krise“ vor ganz besondere Herausforderungen auf die wir zum Teil nicht vorbereitet waren.
Was bedeutet die Situation eigentlich ganz konkret für den Rettungsdienst?
Selbstverständlich wurden die Hygienevorschriften verschärft und es wurden einige logistische Veränderungen umgesetzt. Beispielsweise wurden viele Rettungswachen in Ostholstein geteilt und es wurden Außenstellen mit festen Besatzungen eingerichtet, um im Falle einer Ansteckung einer Kollegin oder eines Kollegen nicht gleich eine ganze Rettungswache schließen zu müssen.
Als Sozialdemokrat interessiert mich aber etwas anderes viel mehr:
Wie geht es meinen Kolleginnen und Kollegen in dieser, für uns alle, völlig neuen Situation? In der Regel sind wir der erste Ansprechpartner für Menschen in Not und das ist auch gut so, denn dafür gibt es die 112 und wir lieben diesen Job.
Doch nur weil ein*e Patient*in uns wegen eines Herzinfarktes zu sich gerufen hat, bedeutet dies nicht, dass nicht auch eine, vielleicht noch nicht bemerkte, COVID-19 Erkrankung vorhanden sein kann. Der Verdacht einer Infektion stellt sich häufig erst im Verlauf der Diagnostik.
Zum Großteil betreten wir fremde Wohnungen und Häuser ohne Infektionsschutzkleidung (außer unserer Handschuhe natürlich). Einfach vorsichtshalber, also prophylaktisch, Schutzmaske bei jedem Patient*innenkontakt zu tragen, wurde uns untersagt. Es gibt nämlich schlicht und ergreifend nicht genügend davon.
Wie COVID19 unsere Arbeit veränderte
Viele Kolleginnen und Kollegen haben Angst, eine COVID Erkrankung nicht zu bemerken und den Partner oder die Partnerin, eventuell sogar die Kinder, Zuhause anzustecken.
Aber es sind auch ganz andere Sorgen, die gar nichts mit der eigenen Arbeit zu tun haben, die zur Zeit Vielen durch den Kopf gehen.
Die meisten Kollegen oder Kolleginnen leben mit ihren Partner*innen zusammen, es gibt gemeinsame Kredite zum Beispiel für Häuser oder Autos. Leider geht, auch bei Angestellten des Rettungsdienstes, der Trend zum Zweitjob und viele sind auf die Einnahmen des Nebenjobs angewiesen. Neben der verhängten Urlaubssperre wurden aber auch die Nebenbeschäftigungen verboten. „Wie sollen wir da noch Geld zum Leben übrig haben?“ Fragte mich ein Kollege, dessen Frau von ihrem Arbeitgeber in Kurzarbeit geschickt wurde.
Jetzt plötzlich systemrelevant?
„Jetzt sind wir auf einmal systemrelevant, aber warte mal ab, wie es in zwei Monaten aussieht“ auch das ist ein Satz, den ich derzeit sehr oft höre. Tief sitzt der Frust bei den Kolleginnen und Kollegen, die sich seit Jahren allein gelassen und ignoriert fühlen. Als „Politiker“ erreichen mich viele solcher Fragen und Sorgen meiner Kolleg*innen und leider kann ich auf einige keine hilfreiche Antwort geben und häufig kann ich den Frust sogar nachvollziehen.
Wir sind systemrelevant, dass wissen wir schon lange. Und so sehr wir uns wirklich darüber freuen, wenn Herr Spahn uns im Plenum des Bundestages lobt, oder wenn Menschen um 17 Uhr für uns von ihren Fenstern aus applaudieren: Von Dank und Applaus hat noch niemand seine Miete bezahlen können.
Was jetzt passieren muss
Es wird endlich Zeit, dass Krankenhäuser und Rettungsdienste rekommunalisiert werden, denn Gesundheit ist nichts, mit dem man Geld verdienen sollte! Es wird endlich Zeit, dass sozial verträgliche Dienstpläne für junge Eltern und Alleinerziehende nicht nur entwickelt werden, sondern dass diese auch Verwendung finden! Es wird endlich Zeit, dass die Wochenarbeitszeit voll vergütet wird und wir nicht mit 10 Stunden Bereitschaftszeit abgespeist werden! Möglichkeiten gibt es viele, wir müssen sie nur anpacken!
Aber: Ich möchte auch Positives nicht unerwähnt lassen.
Zur aktuellen Zeit gibt es in Ostholstein 23 Fälle einer COVID-19 Infektion (Stand 30.03). Damit stehen wir im direkten Vergleich mit anderen Kreisen in Schleswig-Holstein noch relativ gut dar und blieben bisher zum Großteil verschont. Sicher auch, weil der Kreis, vertreten durch den Landrat, sehr schnell gut funktionierende Allgemeinverfügungen erlassen hat und die einzelnen Kommunen diese zügig umgesetzt haben. Auch der Ärztliche Leiter des Kreises überarbeitet ständig die Verfahrensanweisungen für COVID-19 Patienten und versorgt die Rettungswachen mit nahezu täglichen Updates.
Gleichzeitig wollen viele Bürgerinnen und Bürger sich selbst und die Menschen in den Krankenhäusern schützen und fragen sich ob ein Transport in ein Krankenhaus wirklich dringend notwendig ist. Letzteres führt dazu, dass es kaum noch sogenannte Bagatelle-Notfälle gibt. Also Notfälle, die eigentlich gar keine sind wie zum Beispiel ein angestoßener Zeh.
Doch nicht alles schlecht durch Corona?
Zum einen ist die tatsächliche Einsatzbelastung deutlich zurückgegangen und die Kolleginnen und Kollegen arbeiten nicht mehr am oberen Rand der immer noch üblichen 48h-Woche und auf der anderen Seite können wir uns wieder den „richtigen“ Notfällen widmen, wovon am Ende alle profitieren, Patient*innen und Kolleg*innen gleichermaßen.
So sieht die Lage in unserem ländlichen Raum aus. Noch.
Deswegen müssen wir alle gemeinsam unser Möglichstes tun, die Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus so gut wie möglich einzudämmen!
Julian Bachert ist Notfallsanitäter und kommt aus Timmendorfer Strand. Er ist dort auch kommunalpolitisch aktiv und weiß deswegen, was die Probleme vor Ort sind. Wer mehr über Julians Alltag als Rettungssanitäter erfahren will, kann das in seinem Podcast “Vorne im Rettungswagen” tun.