Ein Gastbeitrag der Falken Schleswig-Holstein. Die geäußerten Meinungen entsprechen nicht zwangsläufig auch der Meinung der Jusos Schleswig-Holstein.
Das Corona Virus , oder Covid-19, ist ein aus der politischen, sozialen und gesellschaftlichen Debatte nicht mehr wegzudenkendes Phänomen. Es ist für uns alle eine vollkommen neue Situation, mit der die wenigsten wissen, wie damit umzugehen ist. Viele schauen nun auf die Politik und erwarten Entscheidungen und Handlungssicherheit. Das Infektionsschutzgesetz wird erweitert, es wird gebeten, dass alle Menschen Kontakte überdenken und meiden und Abstand zueinander halten. Durch die noch immer steigenden Zahlen von Infizierten, der beängstigenden Mortalitätsrate und dem fehlenden Impfstoff, steigt natürlich auch die Angst. Der Ruf nach umfassenderen Maßnahmen und sichtbaren Erfolgen dieser nimmt zu, häufig in Konsequenz von autoritäreren Maßnahmen.
Die Menschen sehnen sich nach Sicherheit und sozialer Absicherung, welche durch einen starken Staat gesichert werden sollen. Dieser wird dann als Heilmittel gegen eine Pandemie verkauft, oder mindesten in der bloßen Abstrafung jener die sich gegen die subjektive Sicherheit verhalten.
Einige der eingeführten Regelungen und Maßnahme bergen hierbei, neben den angestrebten Zielen, jedoch auch Gefahren und Widrigkeiten, auf die unserer Meinung nach hingewiesen werden muss. So zum Beispiel Einschränkungen des Demonstrations und Versammlungsrechtes. Die Sicherheit und das Wohlergehen gerade der gefährdeten Gruppen sollte korrektiv gesellschaftlicher Handlungen sein und so bestimmt die Pandemie gerade, dass wir uns nicht treffen und sammeln können, wie wir es sonst und gerade jetzt gerne täten. Aber wichtig ist es dafür zu sorgen, dass diese Eingriffe in die Grundfeste der Demokratie lediglich so lange wie nötig aufrecht erhalten bleiben und zu nichts Anderem als zur Bekämpfung der Pandemie eingesetzt werden. Ebenso darf die Gerichtsbarkeit durch diese ad hoc Maßnahmen nicht ausgesetzt werden und es gilt die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit in den getroffenen Entscheidungen kritisch und auch gerichtlich zu überprüfen.
Aufklärung statt Repressionen
In Schleswig-Holstein wurde neben dem Kontaktverbot auch ein Einreiseverbot – vor allem für Tourist*innen – ausgesprochen, begleitet von einem Bußgeldkatalog. Das Nicht-Einhaltung des Kontaktverbots zum Beispiel verlangt eine Strafe von bis zu 500€.
Natürlich macht es Sinn in einem kapitalistischen System mit Strafen bei Nichteinhaltung von Regeln zu arbeiten. Doch trifft dies, mal wieder, nur die Menschen, für die 500€ viel Geld ist. Jemand der*die von ALG2 lebt oder im Niedriglohnsektor tätig ist, wird sich nicht mal den niedrigsten Satz dieser Bußgelder leisten können. Mit erschrecken stellen wir hier jedoch auch fest das Teile der Gesellschaft sich nicht unverbindlich auf ein solidarisches Miteinander haben einigen können durch Social distancing und andererseits eine Blockwart Mentalität aufkommt erschreckenden Ausmaßes. Diese Phänomene sind für uns zwei Seiten derselben Medaille, Empathielosigkeit und autoritärer Wahn die eine solidarische Gesellschaft konkret entgegenstehen.
Diesem Charakter des Strafen stellen wir Aufklärung gegenüber. Zum einen, um die Menschen nicht noch mehr ökonomisch und sozial abzuhängen. Und zum anderen, weil wir alle Leute erreichen wollen mit dem Ziel zu erklären, was gerade passiert und was wir gemeinsam und solidarisch machen müssen, um die Pandemien so gut wie möglich einzudämmen und andere zu schützen. Dabei sitzen wir nicht, wie einige Pop-Ikonen es glauben machen wollen, alle in einem Boot. Das Leben in der Villa unterscheidet sich eklatant von dem Leben als Kleinfamilie in der Zwei-Zimmerwohnung am Stadtrand.
Isolation heißt für Letztere zurückgeworfen werden auf eine nicht gerade wohlige Existenz und das Einschränken der Besuche der Familie, des Freundeskreises und Treffpunkte erschwert die Isolation neben dem ökonomischen Druck immens. Wenn man Widerstände hier spürt, muss man die Lebensrealität ernst nehmen und mitdenken, bevor man das Verhalten als Nonkonformist definiert und abstraft. Wir brauchen also mündige Bürger*innen, Mitmenschen, die das Ausmaß des Ganzen verstehen und freiwillig Entscheidungen treffen können, anstatt ein paar wenigen die es für sie tun, um dies dann mit Macht durchzusetzen.
Polizei und Ordnungsamt
Wenn konsequent neue Verordnungen durchgesetzt werden sollen, darf natürlich ein Spieler nicht fehlen – die Polizei. Mit der Aufgabe betreut, die bestehenden Ausgangsbeschränkungen, Kontaktverbote und andere COVID-Maßnahmen zu überwachen und zu melden, ufern die Annahmen, was die Mitarbeiter*innen der Polizei dürfen, um das Virus einzudämmen doch erheblich aus. Die Polizei München twitterte am 07.04.2020 zum Beispiel, dass „ein Buch auf einer Bank lesen […] nicht erlaubt [sei].“ und gipfelte darin, dass in Braunschweig am 05.04.20 ein Kreide-Protest von der Initiative „Seebrücke – Braunschweig“, um auf die Situation auf Lesbos aufmerksam zu machen, von der Polizei gestoppt wurde und die Kreidespuren extra von der Berufsfeuerwehr Braunschweig entfernt werden mussten. Nicht nur, dass die Feuerwehr sicher wichtigere Dinge zu tun hat, als Kreide aus der Innenstadt zu entfernen, ist dies auch ein klares Zeichen gegen den Protest der Aktivist*innen. Und das alles im Namen des Kontaktverbotes. Hier ist die Verhältnismäßigkeit eben nicht mehr gewahrt und vermutlich wird die Rechtssprechung dies bestätigen. Allerdings immer erst nachträglich. Wir dürfen also nicht den kollektiven Ordnungsrufen anheimfallen.
Nicht nur linke Aktivist*innen sind Opfer dieser Kontrollen, trifft es doch vor allem Nicht-Weiße noch härter. Gab es vorher schon rassistische Polizeikontrollen, so haben die Maßnahmen diese nur noch erleichtert zu legitimieren. Nun fehlt auch noch, die vorher wenigstens zum Teil vorhandene, kritische Öffentlichkeit bzw. die Freund*innen welche mit der betroffenen Person unterwegs sind und diese Übergriffe dokumentieren konnten.
Neben der Polizei stellen auch überengagierte Mitmenschen ein großes Problem dar. Endlich ist es legitim, wegen jeder noch so kleinen und oft auch vermeintlichen Regelverstoßes die Polizei zu rufen. In den sozialen Medien liest man die Tage immer wieder Beiträge, in denen Menschen sich brüsten, dass sie gerade ‚aktiv‘ geworden sind, weil die Nachbarin Besuch von zwei Personen hat. Wie Menschen im Park mit anderen sprechen und dann von Fremden mit den Worte „Abstand halten“ angebrüllt werden (hierbei wird übrigens viel mehr Speichel freigesetzt). Endlich kann man, sozial anerkannt, andere Menschen denunzieren. Jetzt werden einige sagen: „aber ich melde nur Regelverstöße und handele nicht aus niederen persönlichen Interessen! Ich handle für das Gemeinwohl!“. Zum einem wird dies wohl jede Person sagen, welche andere verpetzt, zum anderen sollte man seine Motivlage hinterfragen, wenn die verhassten Nachbaren endlich mal für was drankommen. Das Blockwartentum hat Hochkonjunktur und wird u.a durch Tweets der DpolG befeuert.
Was die Menschen dabei aber schnell vergessen: auch soziale Isolation kann tödlich enden. Manchen Menschen sind auf anderen Menschen angewiesen. Schon zu nicht Pandemiezeiten leiden z.B. psychisch Kranke und alte Menschen unter sozialer Isolation. Diese wird jetzt nochmal mehr verstärkt durch den erhöhten Druck von außen niemanden zu sehen und Kontakte einzuschränken. Viele Menschen, deren psychische Gesundheit auf einen strukturierten Alltag, regelmäßige soziale Kontakte und die Möglichkeit sich durch Hobbies und Aktivitäten abzulenken basieren, haben jetzt Schwierigkeiten sich zu ordnen und ihre Trigger im Zaum zu halten.
Deswegen müssen wir aufhören, unsere Nachbar*innen anzuschwärzen. Und checkt wie es euren Genoss*innen geht – egal ob sie krank sind oder nicht. Gerade jetzt ist die Gefahr zur kompletten sozialen Isolation noch viel höher.
Systemrelevante Jobs
Betrachtet man die momentane Home-Office-Situation wird deutlich, welche Jobs in einer modernen Gesellschaften als tatsächlich Systemrelevant bewertet werden können. Diese sind Jobs im Gesundheitssystem (bspw. Krankenpfleger*innen), im Einzelhandel (Supermarkt), im sozialen Bereich (Pflegedienst, Lebenshilfe, Allgemeiner-Sozialer Dienst), Kraftfahrer*innen/ Lieferdienste und im Bildungswesen (Lehrer*innen, Erzieher*innen,…). All dies sind Jobs, welche im kapitalistischen System meist chronisch unterbezahlt werden und im Optimierungs- und Profitsteigerungszwang innerhalb der letzten Jahre systematisch weg rationalisiert wurden.
Gesundheitswesen
Im Gesundheitswesen wird seit Jahren gespart, es geht um Profitmaximierung. Dies passiert auf dem Rücken der Arbeitnehmer*innen und der Patient*innen. Schlecht bezahlt, kaum wertgeschätzt – so lässt sich wohl ganz gut die Arbeit im Krankenhaus und Gesundheitssektor zusammenfassen. Doch auf einmal klatschen die Menschen ihren Alltagsheld*innen vom Balkon herunter. Menschen die sich sonst wenig bis gar nicht dafür interessieren, sich auch sonst nicht solidarisch mit den Arbeitskämpfen zeigen – denn spätestens jetzt sind die Verfehlungen der Durchkapitalisierung des Gesundheitswesens offenkundig.
Es wundert daher auch wenig, dass das Land Nordrhein-Westfalen per Gesetz Ärzt*innen und Pflegekräfte zum Dienst verpflichten will; dass das Arbeitsministerium beschließt 12-Stunden-Schichten und eine 9-stündige Ruhezeit sei der richtige Schritt bei der Bekämpfung des Virus‘; dass Schritt für Schritt Arbeitsrechte und gewonnene Arbeitskämpfe zurückgesetzt und ausgehebelt werden. Und hier der öffentliche Aufschrei ausbleibt. Solange es im Namen der Bekämpfung des Virus geschieht, ist scheinbar alles erlaubt. Paradoxerweise können sich hier nun Politiker*innen als große Macher*innen aufspielen, die zuvor die Kürzungen durchgesetzt haben. Jens Spahn zum Beispiel betonte noch Ende 2019 gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung, dass jede dritte Klinik mit Intensivstation in Deutschland überflüssig sei und nun inszeniert er sich als Experte des Gesundheitswesens und dem Gemeinwohl verpflichtet.
Da verwundert es auch nicht, dass alle gerade betonen, wie wichtig doch Personal im medizinischen Versorgungsbereich ist, aber zeitgleich die Schutzkleidung und Desinfektionsmittel aus den Krankenhäusern geklaut werden. Denn was sollen die Menschen damit, welche mir das Leben retten könnten, wenn ich sie auch in meinem Kleiderschrank horten könnte?
Wir können nur hoffen, dass sich die Menschen nach dieser Krise daran erinnern, welche Jobs nun tatsächlich systemrelevant waren und der Beifall von den Balkonen nicht der einzige Akt der Solidarität war. Denn vom Beifall allein können die oben genannten Gruppen ihre Arbeitskämpfe nicht gewinnen – geschweige denn ihr Leben bestreiten.
Umso wichtiger ist es, mit ihnen zusammen auf die Straße zu gehen, unablässig bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung und mehr Personal fordern. Nur so kann maneine etwaige ähnliche Situation besser kontrollieren und auch im Alltag die Menschen in sogenannten systemrelevanten Jobs unterstützen. Denn sie sind nicht nur in einer globalen Pandemie systemrelevant.
Humanitäre Katastrophe
In Zeiten dieser Krise, ist es vor allem wichtig, auf Menschen zu schauen, welche die angepriesenen Maßnahmen des social distancing eben nicht umsetzen können, da sie dazu gezwungen sind auf engstem Raum zusammen zu leben. In Deutschland sind dies vor allem Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete. In diesen wird durch die staatlichen Betreiber vermehrt Personal abgezogen und in das Home-Office geschickt. Zeitgleich treten die ersten Fälle von Covid-19 auf und ganze Gemeinschaftunterkünfte werden und Quarantäne gestellt. Eine dezentrale Unterbringung würde diesen Menschen ermöglichen ein social distancing zu betreiben.
Schauen wir international, fallen vor allem die Flüchtlingslager an den EU Außengrenzen auf. Vor allem in Griechenland sind hier eine große Anzahl an Menschen auf engstemRaum und unter katastrophalen Bedingungen in Lagern eingeschlossen. In diesen können sie sich unmöglich gegenseitig vor einer Ausbreitung von Covid-19 schützen. Durch die EU und auch Deutschland werden die dortigen Zustände ignoriert und totgeschwiegen.
Jetzt kann man ja sagen „Es werden doch Kinder nach Deutschland geholt“. Es sind 50. 50 Kinder, die ohne ihre Eltern oder einer Begleitperson in deutsche Lager verteilt werden.
Vor allem, wenn man sich die Zahlen ansieht, wie viele Erntehelfer*innen aus Ost-Europa nach Deutschland gebracht werden, erkennt man die Absurdität des Ganzen. Es sind 40.000 Menschen, die unter schäbigen Bedingungen und auf engstem Raum gepfercht, in Deutschland bei der Ernte helfen. Aber solange ich Spargel auf dem Teller habe, ist mir ja der Rest egal. Für ein Europa, welches sich auf die Menschenrechte beruft ist dies ein Armutszeugnis.
Wir fordern eine Anerkennung der katastrophalen Situation in den Flüchtlingscamps an den EU-Außengrenzen und eine sofortige Evakuierung dieser. Holt die Menschen nach Deutschland, in die EU, in Sicherheit. Asylrecht wieder einsetzten!
Ebenso muss der Pandemien gemeinsam entgegen getreten werden. Die katastrophalen Geschehnisse in Bergamo und der Lombardei stehen im Zusammenhang mit der von Deutschland verordneten Austeritätspolitik und damit verbundenen heftigen Einsparungen im Gesundheitswesen in den südlichen Staaten der EU, eine Rechnung die jetzt viel zu teuer bezahlt wurde. Hier gilt es, die Corona-Krise als gemeinsame Krise zu überstehen und durch einen gemeinschaftlichen ökonomischen Aufwand die Folgen einzudämmen und einer eventuellen Wiederholung zuvorzukommen. Ein praktisches Mittel wären zum Beispiel Eurobonds.
Den Mut nicht verlieren
Dass und wie es anders geht, zeigt die Krise auch und das emanzipatorische Potential gilt es zu erhalten und in sozialen Kämpfen durchzusetzen. Portugal beispielsweise hat seine humanistischen Standards auch in der Krise nicht aufgegeben und eine breit aufgestellte Gesundheitsfürsorge konzipiert – dazu Geflüchteten das Aufenthaltsbestimmungsrecht gewährt. Vielerorts entstehen solidarisch Stadt- oder Stadtteilinitiativen, die sich um Bedürftige und Betroffene kümmern. Dafür gilt es hier und überall zu kämpfen. Denn im Kapitalismus können wir diese Krise nicht unbeschadet überstehen.