Ein Gastbeitrag von Sophia Schiebe.
Ich sitze an meinem Schreibtisch im Büro, die Sonne scheint durch das Fenster rein und ich höre die Vögel zwitschern, so ruhig ist es. Ab und zu kann ich auch unser Eichhörnchen sehen, welches in den Bäumen auf unserem Schulhof lebt. Seit der Coronavirus-Pandemie scheint die Zeit hier still zu stehen. Die Sozialen-Medien rufen mich dazu auf, genau das zu genießen und in Ruhe die Dinge anzugehen. In den ersten Tagen des Lockdowns mag dies vielleicht auch noch sehr charmant gewesen sein, doch mittlerweile finde ich die Situation im meinem Büro beklemmend und eine Lethargie macht sich in mir breit. Normalerweise wären jetzt schon mindestens 10 Schüler*innen in mein Büro gelaufen, hätten gefragt, was es heute zu essen gibt oder wollten mir einfach nur „Hallo“ sagen. Einige hätten auch ein Bild für mich gemalt und es mir gegeben, damit ich es aufhänge.
Zu meinen Aufgaben als Leiterin des Offenen Ganztages einer Grundschule gehört es, den Ganztag der Schule zu koordinieren, d.h. unter anderem AGs auf die Beine zu stellen, Ferienbetreuung zu organisieren, Streits zu lösen oder auch mal zu trösten. Das alles findet jetzt kaum statt. Seit Mitte März müssen alle Schüler*innen zu Hause bleiben und ihre Schulaufgaben von dort erledigen. Nur Schüler*innen deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, dürfen zu uns in die Notbetreuung kommen. Wo früher also lautes Lachen, Gespräche und auch die ein oder andere Beleidigung durch die Flure zu hören war, herrscht nun trostlose stille.
Warum digitales Lernen eben nicht für alle Kinder funktioniert
Die Entscheidung die Schulen zu schließen, war in Hinblick auf den Schutz unserer Gesundheit die Richtige. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass einige Kinder zu den Risikogruppen gehören. In den vergangenen Wochen waren die Schulen gefragt, den Unterricht nun auf eine andere Weise zu gewährleisten. Zahlreiche Arbeitsblätter wurden nach Hause geschickt, Besprechungen zwischen Lehrkräften und Schüler*innen per Telefon oder Videochat geführt und wir stellten fest, dass digitales Lernen doch einfacher möglich sei als früher häufig proklamiert. Festgestellt haben wir in dieser Zeit aber auch, dass wir in Deutschland nach wie vor große Unterschiede haben, wenn es um Bildungsgerechtigkeit geht. Nicht jede*r Schüler*in, so auch an meiner Schule, haben einen Laptop oder ein Tablet mit dem sie digital Matheaufgaben lösen können oder sich ein Erklärvideo bei Youtube anschauen können. An meiner Schule gibt es auch Kinder und das ist mit Sicherheit kein Einzelfall, die haben noch nicht mal ein Kinderzimmer, schlafen auf der Couch im Wohnzimmer und haben nicht die Möglichkeit, in Ruhe an einem Schreibtisch zu lesen oder schreiben zu üben. Dort sind kleine Geschwister, die auf engstem Raum gerne Spielen wollen oder weinen, weil sie gerade Hunger haben. Zudem sollen die Eltern gleichzeitig im Homeoffice sein und den Kindern bei den Schulaufgaben helfen. Ein Spagat, der eine große Herausforderung darstellt. Und dann ist auch nicht an die Eltern gedacht, deren Muttersprache gar nicht Deutsch ist. Von daher erstaunt es mich schon, dass Golfspielen von der Landesregierung erlaubt worden ist, aber Kinder, deren Eltern nicht in der Lage sind ständig bei den Schulaufgaben zu helfen, nicht zu uns in die Notbetreuung kommen dürfen. Zwei bis drei Stunden in der Woche, wo die Kinder vereinzelnd oder in kleinen Gruppen in die Schule kommen könnten, um Hilfe bei Ihren Schulaufgaben zu erhalten, könnte eine echte Hilfe für die Kinder und eine Entlastung für die Eltern sein.
Kinder müssen an die frische Luft
Außer Acht gelassen wird von der Landesregierung auch, dass bei allen notwendigen Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigt werden müsste, dass Kinder einen starken Bewegungsdrang haben und nicht alle Familien über ein Einfamilienhaus mit Garten verfügen. Eine Verordnung mit Besuchsbeschränkungen und Hygienevorschriften wie für die Geschäfte, brauchen wir dringend für Spielplätze oder vergleichbarer Freizeitflächen. Spielplätze und Freizeit- oder Sportflächen bieten kostenfreie und leicht erreichbare Bewegungsangebote und sind damit vor allem für Kinder aus finanziell schwächeren Familien besonders wichtig.
Während ich mich darüber aufrege, dass in dieser Zeit zu wenig an die Belange der Kinder gedacht wird, tönt es auf dem Flur „Hallo Sophia“ und ein Erstklässler, der gerade bei uns in der Notbetreuung ist, schaut lächelnd in mein Büro.
Sophia Schiebe ist stellvertretende Landesvorsitzende der SPD Schleswig-Holstein und Leiterin eines offenen Ganztagsbetreuung an einer Grundschule in Lübeck.