Wie die Jugendherbergen im Norden durch die Krise kommen

Die Corona-Krise trifft besonders die hart, die keine Rücklagen für schlechte Zeiten bilden konnten. Die Jugendherbergen im Norden trifft die Krise deswegen doppelt hart, weil sie zurzeit keine Gäste aufnehmen können und als gemeinnütziges Unternehmen kein Geld sparen dürfen. Wir haben deswegen Stefan Wehrheim, Geschäftsführer des DJH-Landesverbands Nordmark e.V. gefragt, wie es den Jugendherbergen im Norden geht. Er ist zuständig für die Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg und Teile von Niedersachsen.

Liebes Team der Jugendherbergen im Norden,

vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für die Fragen nehmt! Uns würde interessieren, wie sich euer Alltag durch Corona verändert hat. Durch das Beherbergungsverbot dürft ihr ja gerade keine Gäste aufnehmen. Wie viele Stornierungen musstet ihr deswegen hinnehmen?

Danke auch an euch, dass wir gemeinsam über die Situation der Jugendherbergen im Norden sprechen können. Ehrlich gesagt, hat uns die aktuelle Entwicklung, wie die gesamte (jugend-) touristische Szene, besonders hart getroffen. Seit Beginn der Corona-Krise verzeichnen wir – Stand Mitte Mai – nun rund 300.000 stornierte Übernachtungen in den 45 norddeutschen Jugendherbergen. Dazu gehören 39 Jugendherbergen in Schleswig-Holstein, zwei in Hamburg und vier im nördlichen Niedersachsen. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr hatten wir insgesamt gut 1,04 Mio. Übernachtungen. Die Prognosen für dieses Jahr waren sehr gut. Doch dann erfasste uns eine regelrechte Stornierungswelle. Vor allem dass Klassenfahrten für das gesamte Jahr abgesagt werden, bringt uns in eine sehr schwierige Lage. Schulklassen sind noch immer unsere größte Zielgruppe. Sie machen 40 bis 50 Prozent der Gäste in unseren Häusern aus.

Wie hat sich die Situation denn auf die Mitarbeiter*innen ausgewirkt? Musstet ihr schon Leute entlassen oder konntet ihr das bisher mit Kurzarbeit oder anderen Aufgaben auffangen?

Wir sind ausnahmslos alle in Kurzarbeit gegangen – vom Jugendherbergs-Team bis zur Geschäftsstelle. Viele müssen derzeit leider ganz zu Hause bleiben. Für sie gibt es ohne Gäste kaum etwas zu tun. Alle anderen geben ihr Bestmögliches, um „den Motor“ am Laufen zu halten. Uns ist z.B. wichtig, dass wir nach wie vor für unsere Gäste erreichbar sind – wenn auch in einem begrenzteren Zeitfenster als sonst. Das Umbuchungs- und Stornierungsgeschäft muss abgewickelt werden, Häuser instand gehalten, Hygienepläne erstellt und umfassende Konzepte für die Wiedereröffnung ausgearbeitet werden. Wenn es wieder losgeht, müssen wir bestmöglich vorbereitet sein. Die Saisonkräfte konnten wir leider nicht wie geplant einstellen. Sobald es irgendwie möglich ist, möchten wir sie auf jeden Fall zurückholen.

Nun haben ja alle Bundesländer angekündigt, den Tourismus unter Sicherheitsauflagen wieder hochzufahren. In Schleswig-Holstein dürfen Beherbergungsbetriebe sogar schon am 18. Mai wieder an den Start gehen. Kommt bei euch deshalb jetzt das erleichterte Aufatmen?

Noch nicht wirklich. Allein die Komplettschließung über die vergangenen Monate hat bei uns ein großes Loch gerissen. Als gemeinnütziger Verein können wir nicht wie wirtschaftliche Betriebe freie Rücklagen für Krisen wie diese bilden. Alles, was wir einnehmen, reinvestieren wir in die Struktur unserer Häuser. Hinzu kommt, dass wir als Träger der Kinder- und Jugendhilfe unsere Preispolitik kostendeckend gestalten. Da ist wenig Spielraum. Übrigens bilden die Jugendherbergen im Norden eine Solidargemeinschaft und stützen sich finanziell gegenseitig. Nur so können auch Jugendherbergen erhalten bleiben, die nicht permanent ausgebucht sind.

Doch nun kamen wir aus dem traditionell belegungsschwachen Winter und freuten uns auf eine gut gebuchte Saison. Im April und Mai herrscht in unseren Häusern normalerweise ein reges Treiben: unter der Woche mit Schulklassen und jungen Seminargruppen, am Wochenende und an den Feiertagen mit Familien, Chören, Orchestern, Sportgruppen usw. Das fiel nun alles flach. Und die Fixkosten laufen ja trotzdem weiter…

Inwiefern könnt ihr durch die Wiedereröffnung nun wieder aufholen?

Den verloren gegangenen Umsatz können wir leider nicht wieder aufholen. Wir können ja jetzt nicht Betten zweimal verkaufen. Eher im Gegenteil: Durch die Auflagen, die natürlich ihre Berechtigung haben, werden wir nicht sofort alles belegen können. Denn Jugendherbergen sind traditionell Gruppenunterkünfte. Wir müssen gut abwägen, welche Jugendherbergen im ersten Schritt wiedereröffnen können. Es darf ja auch kein Minusgeschäft werden. Das hilft niemandem. Wir werden also noch sehr lange mit der Corona-Krise zu kämpfen haben. Und deshalb sind wir auf Hilfe von Bund und Ländern angewiesen.

Sind bei den aktuellen Hilfspaketen von Bund und Land Unterstützungsmaßnahmen für euch dabei?

Jein. Im ersten Schritt waren alle Gemeinnützigen wie Jugendherbergen und Schullandheime durchs Raster gefallen. Zunächst galten die Hilfspakete für uns alle nicht. Es musste sogar zunächst geklärt werden, ob wir überhaupt Kurzarbeit anmelden können. Inzwischen sind wir in Kurzarbeit und konnten ein Darlehen aus dem sogenannten Mittelstandssicherungsfond beantragen, das uns über ein paar Wochen rettet. Darüber hinaus greift uns das Land Schleswig-Holstein nun kräftig unter die Arme bei unseren beiden großen Modernisierungsprojekten an der Nordsee: Das schleswig-holsteinische Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren in Kiel hat uns für unsere laufenden Bauprojekte in der Jugendherberge Büsum und der Jugendherberge Wittdün auf Amrum einen Sonderdarlehenstitel in Höhe von rund 7,1 Mio. Euro zugesagt. Wir sind dem Land und dem Ministerium sehr dankbar für diese tatkräftige Unterstützung. Das zeigt uns deutlich, dass Schleswig-Holstein an unsere Jugendherbergen glaubt und möchte, dass diese auch in Zukunft Orte des außerschulischen Lernens und der interkulturellen Begegnung sind. Doch wir sind uns darüber im Klaren, dass wir trotz allem weiterhin auf Soforthilfen von Bund und Ländern für gemeinnützige Organisationen wie die Jugendherbergen angewiesen sind, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Bislang gibt es für uns – im Gegensatz zu anderen DJH-Landesverbänden – weder auf Landes- noch auf Bundesebene Zusagen.

Was wünscht ihr euch denn von der Politik in dieser Situation?

Wir wünschen uns flächendeckende Soforthilfen für gemeinnützige Organisationen, die schnell und unbürokratisch ausgezahlt werden. Das ist für unser aller Überleben entscheidend. Wir sind hier schon während der gesamten Krise in guten, konstruktiven Gesprächen mit vielen politischen Ebenen. Das wissen wir sehr zu schätzen, dass wir hier gehört werden. Auch der Informationsfluss funktioniert in vielen Bereichen richtig gut. Jetzt ist es aber Zeit für Lösungen. Denn wir können und wollen uns Deutschland nicht ohne Jugendherbergen vorstellen. Schließlich kommt die Jugendherbergs-Idee aus Deutschland und ist von hier aus zu einer weltweiten Bewegung geworden. In diesem Jahr wollten wir eigentlich bundesweit unser 111. Jubiläum feiern. Die Aktionen mussten leider wie viele andere Maßnahmen gestrichen werden.

Wir setzen uns immer wieder für die Wahrnehmung von uns Jugendherbergen, der gesamten jugendtouristischen Szene und unserer Besonderheiten ein. Wir beherbergen die Gäste von morgen, werden aber in vielen Diskussionen immer wieder vergessen. Wenn man von Beherbergung und Tourismus spricht, hat kaum jemand die vielen Familienurlaube, Jugendgruppenfahrten oder Kinderfreizeiten auf dem Schirm, die bei uns stattfinden.

Wie ist eure Perspektive für das Jahr 2020?

Wir hoffen auf einen starken Sommer – darauf, dass die Menschen Urlaub in Deutschland machen möchten. Erholung ist ein wichtiges Gut. Deshalb setzen wir auf Angebote für Familien und entwickeln Aktionen, die unsere Gäste sorgenfrei buchen lassen. Das entgangene Klassen- und Gruppengeschäft lässt sich trotzdem nicht kompensieren, hier bleiben wir realistisch. Prognosen sind kaum möglich, solange wir die Wiedereröffnungsphasen und konkreten Auflagen nicht kennen. Noch dazu erstreckt sich unser Landesverband über drei Bundesländer – wir brauchen vermutlich nicht zu erzählen, was das derzeit hinsichtlich der Bestimmungen für die Wiederaufnahme unseres Betriebs bedeutet. Selbst in positiven Prognosen planen wir inzwischen nur noch mit etwa 390.000 Übernachtungen. Dies bedeutet einen Umsatzverlust von fast 25 Mio. Euro. Das ist für uns nicht aufholbar. Unser Wille, diese Krise zu meistern, ist aber ungebrochen. „Gemeinschaft erleben“ ist nicht nur unser Leitgedanke nach außen. Wir halten auch nach innen zusammen, versuchen trotz allem kreativ zu werden und in Lösungen zu denken. Wir geben alles, um auch zukünftig für wichtige Werte wie Bildung, Toleranz, Weltoffenheit und Inklusion einzustehen. Deshalb freuen wir uns jetzt umso mehr über jeden einzelnen Gast, den wir in unseren Jugendherbergen begrüßen dürfen.

 

Stefan Wehrheim ist Geschäftsführer des DJH-Landesverbands Nordmark e.V. und damit zuständig für alle Jugendherbergen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Nord-Niedersachsen.