Wie geht es eigentlich Obdachlosen in Zeiten von Corona?

Die Stadt.Mission.Mensch bietet in Kiel verschiedene Dienstleistungen im sozialen Bereich an. Dazu gehört unter anderem die Unterstützung für Obdachlose. Mit der Geschäftsführerin Karin Helmer sprachen wir über diese Arbeit.

Wie sieht die aktuelle Lage der Obdachlosen in Kiel aus und wie ist die aktuelle Situation zu bewerten?

In Kiel kennen Obdachlose Menschen die Anlaufstellen. In den Tages- und Kontaktläden bekommen sie Essen, medizinischen Rat, können Duschen und waschen. Wenn sie wollen (einige können dies aber schlicht nicht), können wir sie in Notunterkünften unterbringen. Dies bedeutet aber nicht, dass es den Menschen rundum „ gut geht“.

In Kiel haben wir aktuell ein neues Wohnungslosenhilfekonzept zusammen mit der Stadt entwickelt, dass nun sukzessive umgesetzt werden soll.

 

Fehlt es ihrer Meinung nach an gesellschaftlichem Verständnis für das Phänomen der Obdachlosigkeit?

Ja, insbesondere wird Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit fast regelhaft verwechselt. Wir haben etwa 1200 Menschen ohne eigenen Mietvertrag = Wohnungslose, die aber gar nicht so als solche in der Öffentlichkeit auftauchen. Viele davon sind voller Scham, haben psychische Erkrankungen, sind suchtkrank… – davon sind etwa 50/60 „obdachlos“ = „Platte machend“ (Anm: Bedeutet “auf der Straße schlafen”).

 

Wie könnte man potenziell mehr Verständnis schaffen?

Wir müssen eine gesellschaftliche Grundhaltung entwickeln, die die Würde des Menschen auch dann an erste Stelle setzt, wenn diese „ anders“ sind und / oder in soziale Schieflagen geraten.
Gegen Ausgrenzung jeglicher Art für menschliche Wärme und gesellschaftliche Akzeptanz eines JEDEN – das ist unsere Grundhaltung, die wir versuchen umzusetzen und auch öffentlich darzustellen.

 

Vor welchen Herausforderungen steht die Stadtmission Kiel?

Sich für diese Grundhaltung aktiv einzusetzen ( Bsp: Konzert gegen die ( gesellschaftliche ) Kälte und allen Menschen ein würdevolles Leben – wie auch immer dies individuell aussehen mag – zu ermöglichen.

 

Sollte das Thema gesellschaftlich mehr diskutiert werden?

Ja! Und nicht nur in Coronazeiten!

 

Fehlt es an Angeboten, um eine gesellschaftliche Integration von Obdachlosen zu gewährleisten?

Wir würden gern ( sehr individuell anzupassende) Möglichkeiten zur sinnvollen Tagesstruktur/ Beschäftigung entwickeln und sind dazu mit der Stadt im Gespräch; daran könnte sich auch das Land beteiligen, da viele der Obdachlosen nicht aus Kiel, sondern aus dem Umland in die Stadt kommen. Menschen müssen wertvoll sein und dies auch durch eigene gesellschaftliche Beiträge erleben – aber das (wieder) herzustellen ist mühsam, experimentell und daher auch kostenintensiv.

 

Brauchen die Wohnungslosen eine stärkere Lobby in der Politik?

Das kann nicht genug sein – die Zahlen steigen und der günstige Sozialwohnraum fehlt nach wie vor und auch noch lange. Im Kern haben wir es zudem mit zunehmender Altersarmut zu tun, in der die hohen Mieten im Rentenalter schlicht nicht mehr zu bezahlen sind.