-Ein Gastbeitrag von Ray Finger-
Zurzeit ist das gesellschaftliche Augenmerk bei Polizeigewalt und Rassismus. Mit zweiterem möchte ich mich hier befassen. Doch zunächst, wo liegen eigentlich die Ursprünge des Rassismus?
Ursprung des Rassismus
Rassismus ist das willkürliche Kategorisieren von Menschen in Rassen, dafür gibt und gab es zu keinem Zeitpunkt in der Wissenschaftsgeschichte eine Grundlage. Nachdem Newton seine Naturgesetze formuliert hatte, wurde ein Zeitalter, das auf theologischen, metaphysischen Annahmen beruht, durch ein Zeitalter abgelöst, das sich den rationalen Wissenschaftsansatz verschrieben hat. Aufgrund dessen entstand das Bedürfnis Flora und Fauna zu katalogisieren.
Mit François Bernier wurden dann dieser Drang auf den Menschen übertragen, der anhand von körperlichen Merkmalen vorging und vier verschiedene „Rassen“ beschrieb. Später spann Carl von Linné diese Theorie weiter und ordnete Hautfarbe bestimmten Kontinenten zu, wohl bemerkt lange, nachdem bereits Europäer auf der ganzen Welt Kolonien errichtet hatten.
Längst wurde festgestellt, dass man keine Belege für „menschliche Rassen“ finden konnte, jedoch wurden deswegen die Existenz derer an sich nicht infrage gestellt. Im 19. Jahrhundert, also lange nach der Französischen Revolution und der dort erklärten Menschen- und Bürger*innenrechte, wurde dem die Theorie des Sozialdarwinismus hinzugefügt. Welches dann als Legitimation für eine Fremdherrschaft herangezogen wurde, um sogenannte „unterentwickelte Kulturen“ zu „zivilisieren“. Der Ansatz, dass Kultur nur aus sich selbst heraus zu verstehen ist, war noch nicht formuliert.
Deutsche Kolonialgeschichte
Die Kolonialgeschichte Deutschlands ist zwar im Vergleich zu anderen Nationen, die Kolonien beherrscht haben, eine kurze, jedoch heißt das nicht, dass sie weniger grausam war. Allein, dass man die Hereros und Namas bis heute nicht um Verzeihung gebeten hat, weil Deutschland an diesen beiden Bevölkerungsgruppen den ersten Genozid des 19. Jahrhunderts begangen hat, ist eine Schande, die mit jedem weiteren Jahr wächst.
Auch wurden die Hereros und Namas nie für die Verbrechen, die an ihnen verübt wurden, entschädigt, sei es durch Rückgabe von enteignetem Land oder durch finanzielle Wiedergutmachung. Ebenfalls ist vielen nicht bewusst, dass die menschlichen Überreste der Opfer des Völkermordes nicht in Namibia begraben liegen, sondern in Museen in Deutschland befinden, allein in Berlin 8.000 Schädel. Genauso wenige wissen, dass die Schädel bevor sie nach Deutschland gebracht wurden, abgeschlagen wurden, um gekocht zu werden, damit anschließend die Überlebenden des Völkermordes ihnen die Haut und das Fleisch abziehen können. Kannst Du Dir vorstellen, deine*r Partner*in die Haut und das Fleisch vom Kopf zu ziehen?
Nationalsozialistischer Untergrund
Der NSU ist nur die Spitze des rechtsextremen Terrors in der wiedervereinigten Bundesrepublik. Jedoch zeigen das Verhalten der Ermittlungsbehörden, also der Polizei und des Geheimdienstes, hier hauptsächlich der Verfassungsschutz, eine erschreckende Verwicklung oder Gleichgültigkeit bei den heimtückischen Morden an hauptsächlich Migrant*innen. Auch das Sammelsurium an verharmlosenden und ironischen Bezeichnungen, die in Medienberichten benutzt wurden, spiegeln Ressentiment und Exklusivität der Gesellschaft wider. Dass man versucht hat, die Opfer und Hinterbliebenen als Täter*in darzustellen, die mit beispielsweise Geldwäsche zu tun hätten, scheint hier beinahe nur eine Nebensächlichkeit zu sein. Auch die Anwesenheit eines „Verfassungsschützers“ bei dem Mord von Halit Yozgat sei nur der Vollständigkeit erwähnt.
Allein diese Fakten lassen große Irritation zu, obwohl das bewusste Schreddern von Akten und anschließend das Zurückdatieren der Vernichtung bisher unerwähnt blieb. Dennoch werden die Akten zuerst für 120 Jahre unter Verschluss gehalten, weil erst die Urenkel*in der Opfer erfahren dürfen, wieso ihre Urgroßeltern sterben mussten, oder vielleicht weil sie dann erfahren würden, wo der Staat versagt hat, beziehungsweise den Täter*in Hilfestellung geleistet hat. Mittlerweile wurde diese Frist auf 30 Jahre heruntergesetzt, was für mich kein Fortschritt, sondern ein immer noch Zurückliegen von Selbstverständlichkeiten ist. Die Akten müssen unverzüglich freigegeben werden.
Hanau
Man muss jedoch zeitlich nicht lange zurückschauen, um die Integrität unseres Grundgesetzes in Zweifel zu stellen. Am 19. Februar wurden in Hessen elf Menschen aufgrund einer zutiefst rassistischen und menschenfeindlichen Überzeugung ihres Lebens beraubt. Das hielt allerdings auch hochrangige Beamt*innen des Bundestages nicht davon ab, am nächsten Tag in Bundestagsgebäuden Karneval zu feiern, obwohl die ursprüngliche Feier schon abgesagt wurde. Verbundenheit mit den Opfern bis ins Mark. Wegen der ausgelassenen Feier musste sogar die Polizei kommen. Das am Brandenburger Tor ab 18 Uhr eine Mahnwache abgehalten wurde, schien nicht ins Gewicht zu fallen, zumal das Gebäude in der Straße „Unter den Linden“ liegt. Zu allem Überfluss wurde die vermeintliche Organisatorin dieser Feier später auf Besoldungsstufe B9 befördert.
Letztendlich muss ich leider feststellen, dass sich die Debatten über Rassismus an fünf Buchstaben im Grundgesetz bereits erschöpfen. Dies ist nicht nur erbärmlich, sondern ein Trauerspiel. Auch dass Morde, Gewalttaten gegenüber BPoC erst eine Debatte über Rassismus rechtfertigen würden, wenn es dann überhaupt zu einer kommt, ist erschütternde deutsche Realität. Das Zerschlagen von jeglicher Diskriminierung, sei es Antisemitismus oder Homophobie, ist im ersten Absatz des Grundgesetzes implementiert. Denn die Würde ist nicht unantastbar, sondern wird mit rassistischen Taten immer wieder aufs Neue beschnitten. Es ist wichtig, seine Ansichten zu hinterfragen und daran zu zweifeln. Außerdem sollten wir Menschen nicht anhand ihrer Merkmale vorverurteilen, sondern ihnen zuhören und versuchen zu verstehen, letztendlich den Geist der Menschenrechten beziehungsweise des Grundgesetzes vollständig umzusetzen.
Das war und ist der Grund für mich ein Genosse zu sein. Völker, hört die Signale …
Ray Finger ist im Vorstand des KV Segeberg, absolviert aktuellen einen Bundesfreiwilligendienst im Psychiatrischen Zentrum Rickling und hat familiäre Wurzeln in Tansania.